Die fünf psychischen Grundbedürfnisse des Menschen
Der englische Sozialpsychologe Tom Kitwood hat in seinen Untersuchungen festgestellt, dass jeder Mensch fünf zentrale psychische Grundbedürfnisse hat. Das betrifft die Pflegekraft genauso wie den dementen Menschen.
Demente Menschen können aber, im Gegensatz zum gesunden Menschen, nicht mehr selbst für die Erfüllung ihrer seelischen Bedürfnisse sorgen und leiden oft still darunter. Manche werden aufgrund des Mangels an seelischer Befriedigung auch unruhig und entwickeln auffällige Verhaltensweisen. Die Grafik zeigt die zentralen psychischen Bedürfnisse als sogennante Kitwood-Blume. Der Artikel erläutert, was damit bei dementen Menschen gemeint ist.
Pflege, Betreuung, Lebensbegleitung eines dementen Menschen
Zur gelingenden Begleitung eines dementen Menschen gehört die Anerkennung und Berücksichtigung der wesentlichen Grundbedürfnisse der Person. Die Erfüllung dieser Grundbedürfnisse ist für jeden Menschen unverzichtbar, denn sie dient zum Erhalt seiner körperlichen und seelischen Gesundheit. Die Wurzeln für diese Bedürfnisse werden früh in der Lebensgeschichte geprägt und entwickelt. Sie sind im weiteren Leben steuernd für die Gestaltung von Beziehungen, für die Entwicklung von Selbstvertrauen und der Kommunikationsfähigkeit mit anderen Menschen. Ausgangpunkte für die Betreuung und Sorge für einen Menschen mit Demenz sind die Grundbedürfnisse, die für alle Menschen gelten, aber bei Menschen mit Demenz von existenzieller Bedeutung sind.
Zu den wesentlichen Grundbedürfnissen von Personen mit Demenz gehört das Bedürfnis nach Orientierung und Kontrolle über das eigene Leben, das bedeutet den Erhalt von Selbstbestimmung. Danach steht das Bindungsbedürfnis als Streben nach Geborgenheit, Schutz, Nähe, Wärme und genährt werden ganz oben an. Der Mensch ist ein soziales Wesen, er ist angewiesen auf das „Du”, auf ein Leben von „Angesicht zu Angesicht”.
Gerade bei Demenz im fortgeschrittenen Stadium ist das Alleinsein häufig beängstigend und kann sich im Umherwandern, Anklammern und anderen Verhaltensweisen äußern. Einbezogensein meint, einen festen Platz in der Gruppe zu haben, sich in der Gemeinschaft zu Hause zu fühlen – oft einfach nur dabei sein zu dürfen. Eine Beschäftigung zu haben, die den eigenen Fähigkeiten und Kräften entspricht, bedeutet, persönlich bedeutsam zu sein. Die Möglichkeiten der aktiven Beschäftigung nehmen ab, doch sind Anregungen über die Sinne (Ohren, Augen, Geschmack, Geruch, Hautsinn) bis zuletzt möglich. Demente Menschen können ihre Identität nur mit Unterstützung durch andere aufrechterhalten. –Sie brauchen Betreuer, die ihre Realität anerkennen und die eigene brüchige Lebensgeschichte wie mit einem roten Faden lebendig halten. Dazu ist ein möglichst detailliertes Wissen über die Biografie wichtig
Trost zu spenden bedeutet, die Situation, in der sich eine Person befindet, empathisch wahrzunehmen und ihre belastenden Emotionen anzuerkennen und Beistand zu leisten. Das Entgegenbringen echter Empathie hilft dem Trostbedürftigen, sich seelisch wieder aufzurichten. Eine Demenz ist für die betroffenen Personen mit vielfältigen Verlusten verbunden: Verlust an sozialen Beziehungen, Verlust von Fähigkeiten, Erinnerungen, Verlust der Kontrolle, Verlust eines unabhängigen Lebensstils – somit ist ein Verlangen nach Trost sehr verständlich. Das Eingehen auf spirituelle Bedürfnisse kann hier für einen gläubigen Menschen sehr wichtig werden.
Diese Bedürfnisse sind immer die Grundlage für die verschiedenen praktischen Betreuungsangebote. In der Hierarchie der Grundbedürfnisse gehört die sichere Bindung zu den jeweils bedeutsamen Bezugspersonen zu den lebensnotwendigen Grundlagen der menschlichen Existenz. Daher geht es beim Umgang mit dementen Menschen häufig um Vertrauen.
Deshalb erfordert die Erfüllung des Bindungsbedürfnisses immer ein Gegenüber, das feinfühlig die Signale wahrnimmt, richtig interpretiert, angemessen und prompt darauf regiert.
In diesem Sinne ist der Auftrag von Betreuungskräften nicht einfach nur das Anbieten von Beschäftigung. Sie dürfen sich also nicht als "Beschäftigungstherapeuten" verstehen, sondern als "Kümmerer" um die psychischen Bedürfnisse der alten Menschen.
Diese Informationen zu den psychischen Grundbedürfnissen können Sie hier als pdf-Datei kostenlos herunterladen:
Gruppenaktivitäten nach Tom Kitwood
Der Sozialpsychologe Tom Kitwood konnte beobachten, dass sehr häufig mit dementen Menschen in einer schlechten Art und Weise umgegangen wird. Wenn man z.B. einen erwachsenen, fremden Menschen mit "Du" anspricht, dann macht man ihn zum Kind. Solches Verhalten gegenüber dementen Menschen bezeichnete Kitwood als "maligne", also schädigend. Entwürdigung führt zu Stress und Stress schadet dem Gehirn. Eine leicht demente Dame im Pflegeheim vertraute mir einmal in Flüsterstimme an: "Die denken alle, dass ich nix mehr weiß. Aber ich weiß genau, wer es gut mit mir meint!". Dem gegenüber stehen positive Umgangsweisen, die laut Kitwood dazu führen, dass der Mensch mit Demenz sich wohl fühlt und die Demenzentwicklung gebremst wird. Kitwood nennt den würdigenden, förderlichen Umgang mit dementen Menschen "Positive Interaktion". Wie man dies in einem Gruppen-Angebot umsetzt zeigt der folgende Text:
Positive Interaktion in Gruppen
In jeder Begegnung während der Gruppen-Betreuung sollten die therapeutischen Grundsätze der Positiven Interaktion nach Tom Kitwood zum Tragen kommen:
Anerkennen: Jeder Gruppenteilnehmer wird mit vollem Namen und mit Blickkontakt und Händedruck begrüßt. Immer wieder werden die Teilnehmer mit Namen angesprochen und erhalten kurzzeitig die volle Aufmerksamkeit einer Betreuungskraft. Für das Mittun und die Aufmerksamkeit der Teilnehmer bedanken wir uns immer wieder.
Verhandeln: Würde und Selbstbestimmung wird konkret, wenn der demente Mensch nach seinen Wünschen gefragt wird, statt sich einem festen Programm anpassen zu müssen. Möchte jemand lieber zu einem Spaziergang nach draußen gehen (z.B. weil er sich in der Gruppe mit vielen unbekannten Teilnehmern unsicher fühlt), dann kann er das in Begleitung einer Helferin tun. Der Mensch steht über dem Programm. Das Programm muss flexibel sein, denn der demente Mensch kann sich nicht anpassen.
Zusammenarbeiten: Die Gruppe ist nicht aufgeteilt in Geber und Nehmer, in Leiter und Zuhörer, sondern der alte Mensch soll aus seiner passiven Rolle (Krankheitsrolle) herausgeholt werden und spüren, dass seine Mitarbeit erwünscht ist. Wenn sie als Gruppenleiter beispielsweise eine Gesprächsrunde zum Erzählen von einem schönen Urlaub motivieren möchten, dann sollten sie auch selbst kurz über ihren Urlaub berichten. Dadurch stellen sie sich auf die gleiche Ebene wie die Teilnehmer.
Spielen: Dazu besteht reichlich Möglichkeit in Gruppenangeboten. Immer geht es aber nur um den Spaß am Spielen selbst – nicht ums Gewinnen oder Erfolge. Frustrierende Defizit-Erlebnisse werden weitestgehend vermieden. Dabei sein ist alles! Und mit Humor wird es erst richtig schön.
Feiern: Die Gruppenangebote können manchmal den Charakter einer familiären Feier (etwa einer Geburtstagsfeier) haben. Es wird in geselliger Runde gesungen und gelacht. Beim Feiern kann der Gruppenteilnehmer die Stimmung des Augenblicks genießen und die Lasten der Krankheit spielen in diesem Moment keine Rolle. Auch die manchmal angebotenen Gottesdienste stellen eine Feier dar – mit einem emotional anderen Schwerpunkt.
Entspannen: Jeder demente Mensch sollte die Möglichkeit erhalten, nach seinem individuellen Bedarf zu entspannen. Wer mag, kann im Rahmen der Gruppe entspannen (manche Menschen fühlen sich dort wohler). Das kann dazu führen, dass jemand immer in der Gruppe einnickt. Von Kleinkindern kennen wir das vielleicht eher. Weder ein Kleinkind noch ein Senior sollte wieder geweckt werden.
Erleichtern: Durch gute Beobachtung und Sensibilität gegenüber den Betreuten erkennen wir die Intention, die hinter einer bruchstückhaften Äußerung, einer verhaltenen Geste oder einer ansatzweisen Handlung liegt und unterstützen den dementen Menschen genau in dem Maße, das er braucht. Wir gehen dabei nicht auf das Unvermögen des alten Menschen ein, sondern auf seine noch vorhandenen Kompetenzen. Wir übernehmen keine Handlungen, die der alte Mensch noch selbst ausführen könnte.
Schöpferisch sein (kreativ sein): Gerade beim Singen und Musizieren werden oft Kompetenzen der Gruppenteilnehmer geweckt, z.B. wenn sie selbst die Initiative ergreifen und ein Lied anstimmen oder ein Lied noch einmal wiederholen möchten. Aber auch andere kreative Ideen der Teilnehmer, wie z.B. Servietten kunstvoll falten, möchten wir nicht unterbrechen. Hier heißt es vor allem: Gewähren lassen! (solange es nicht andere Teilnehmer zu sehr stört).
Geben: Die dementen Menschen geben uns immer wieder etwas, wenn wir es nur wahrnehmen. Das kann ein Lob sein, ein Lächeln, eine kleine Hilfeleistung, ein beispielhafter Umgang mit Einschränkungen, Geduld, eine Biografie aus der wir lernen können, emotionale Feinfühligkeit, usw. An uns Betreuern liegt es, ob wir aufmerksam dafür sind und dieses Geben anerkennen, indem wir uns dafür bedanken.
Diese Form der positiven Begegnung sollten wir nicht als Programm abspulen,
sondern als Haltung einüben!
Diese Liste ist eine verkürzte Zusammenfassung. Ausführlich finden Sie das Thema im Buch von Tom Kitwood: „Demenz – der personenzentrierte Ansatz im Umgang mit verwirrten Menschen“
(siehe Demenzinfos / Buchempfehlungen)
Als pdf-Datei können Sie die Kitwood-Hinweise für die Anwendung in Gruppen hier herunterladen:
Der Demenz-Code
"Der Demenz-Code" nennt sich eine kleine Schrift von Dr. Udo Baer (Autor des Buches "Das Herz wird nicht dement"). Sowohl das Buch als auch der Demenz-Code sind sehr lesenswert.
Menschen mit Demenz drücken ihre Bedürfnisse oft anders aus, als wir es gewohnt sind.
Die Ausführungen von Dr. Udo Baer sollen eine Hilfe sein, um verständlich zu beschreiben, was sich hinter dem oft verschlüsselten Ausdruck von Menschen mit Demenz verbergen kann.
Die Schrift "Demenz-Code" gibt es leider nicht mehr in gedruckter Form, aber sie wurde dankenswerter Weise kostenlos als pdf in Netz gestellt. Sie finden dies unter dem Link: