Neue Ideen für die Seniorenbetreuung

Neue Ideen für die Betreuungsarbeit

So gelingt Kommunikation mit alten Menschen - Teil 1

Gute Begegnung zwischen Menschen setzt immer Selbstbestimmung, Augenhöhe, Respekt und Freundlichkeit voraus. Diese Grundhaltungen gelten für jede Begegnung und Kommunikation – unabhängig von Alter oder Gesundheitszustand.  Trotz bester Absichten von Pflegenden und Betreuungskräften tun sich aber immer wieder Gräben auf, die es zu überwinden gilt, wenn Kommunikation zwischen jung und alt gelingen soll. Die häufigsten Kommunikations-Hemmnisse zwischen jung und alt, gesund und krank, betreuend oder betreut möchte ich hier beschreiben. Wege zur Überwindung dieser Hürden sollen hier ebenfalls aufgezeigt werden. Am Ende des Artikels finden Sie eine Zusammenfassung als Merkblatt, das Sie sich kostenlos downloaden können. Die besonderen Formen der Kommunikation mit dementen Menschen, nämlich die Validation nach Feil oder nach Richard, ist nicht Gegenstand dieses Artikels. Hier soll es um die häufigsten Probleme in der Kommunikation gehen. In diesem ersten Teil liegt der Schwerpunkt auf den körperlichen Einschränkungen alter Menschen.  

Unterschiedliche Kommunikationsmuster und Sprachwelten

Wenn sehr junge Betreuungskräfte auf sehr hochbetagte Menschen treffen, kann es vorkommen, dass ein Altersunterschied von 70 Lebensjahren und mehr zwischen den beiden liegt. Dieser Altersunterschied bringt zwei völlig unterschiedliche Muster der Kommunikation mit sich, die hier skizzenhaft dargestellt sind:

jung                          alt  

schnell          ► ◄   gemächlich

digital           ► ◄   persönlich

locker           ► ◄   höflich  

denglish        ► ◄  deutsch (od. Dialekt)  

direkt            ► ◄  zurückhaltend

unisex           ► ◄  rollenspezifisch

international ► ◄  lokal

Während hochbetagte Menschen die Begriffe „chillen, chatten, skypen, dissen, liken“ usw. nicht verstehen, gibt es andererseits eine Sprachwelt der Hochaltrigen. Junge Menschen werden kaum je etwas von „Zipperlein, Muckefuck, Ferngespräch, Spätheimkehrer, grüne Minna oder Stelldichein“ gehört haben. Schon bei den völlig unterschiedlichen Sprachwelten gilt es also, große Gräben zu überwinden.  
   Viele alte Menschen haben eine Erwartung, dass sie von einem jungen Menschen in einer bestimmten Form der Höflichkeit angesprochen werden.  Eine Begrüßung mit „Hi, Herr Müller!“ wird vielleicht vom hochaltrigen Herrn Müller der jugendlichen Betreuungskraft verziehen. Es könnte aber auch durchaus sein, dass Herr Müller das „Hi!“ als respektlos empfindet und sich eine korrekte Begrüßung ganz anders vorstellt – nämlich z.B. mit seinem Titel: „Guten Morgen Herr Professor Müller!“ Schon vom Begrüßungssatz kann also abhängen, ob die weitere Kommunikation in guten Bahnen verläuft oder in Unverständnis endet.

Umgekehrt äußern alte Menschen ihre Bedürfnisse oder Wünsche oft nur indirekt, weil es als unangemessen gilt, „Forderungen“ zu stellen. Daher wird die hochbetagte Frau Weimer nur sagen: „Früher bin ich jeden Tag in meinen Garten gegangen“, wenn Sie eigentlich den Wunsch hat, von der Betreuungskraft in den Garten begleitet zu werden. Hier gilt es als Betreuungsperson aufmerksam zuzuhören, nachzufragen und speziell die konkreten Bedürfnisse des alten Menschen zu erfragen. 

Die Sprechgeschwindigkeit junger Menschen stellt ebenfalls viele ältere Menschen vor ein Problem – nicht nur die Menschen mit Demenz. Deshalb: bewusst etwas langsamer sprechen und vor allem kurze Pausen zwischen den Sätzen einbauen! Auch die Gesten, die Sie zur Verdeutlichung ihres Gesprächsanliegens verwenden, sollten Sie bewusst etwas langsamer durchführen. Dies ist eine reine Übungssache.

Körperliche Einschränkungen  

Die häufigsten körperlichen Einschränkungen alter Menschen, die sich auf die Kommunikation auswirken sind:

1) Schwerhörigkeit

2) Sehstörungen

Schwerhörigkeit

Altersschwerhörigkeit bedeutet fast immer, dass die Betroffenen Probleme haben, Töne im hohen Frequenzbereich zu hören. Viele weibliche Betreuungskräfte liegen aber mit ihrer Stimmlage genau in diesem Bereich. Der häufigste Fehler der Betreuungsassistentinnen liegt dann darin, dass sie versuchen, lauter zu sprechen, wenn sie bemerken, dass ein alter Mensch sie akustisch nicht versteht. Beim lauteren Sprechen werden aber die Töne stärker herausgepresst und klingen dadurch noch höher. Daher hilft dieses Vorgehen meist überhaupt nicht weiter. Um besser verstanden zu werden, muss die Betreuerin versuchen, nicht lauter, sondern mit einer tieferen Stimmlage zu sprechen. Wenn dabei noch auf langsame und deutliche Aussprache geachtet wird, gelingt die Verständigung besser.

Oft ist es schwerhörigen Menschen unangenehm, dauernd nachfragen zu müssen. Daher wird die Schwerhörigkeit manchmal verschleiert. Der alte Mensch nickt, hat aber gar nichts verstanden.  In diesem Fall heißt es gut hinzuschauen und immer wieder nachzufragen: Wurde ich akustisch verstanden?  Träger von Hörgeräten haben trotz funktionierendem Gerät häufig durch Störgeräusche Probleme.  Einfache Hörgeräte verstärken alle Töne gleichermaßen. Also nicht nur die Frage der Betreuungskraft, sondern auch den Fernseher, der im Aufenthaltsraum läuft. Sorgen Sie als Betreuungskraft dafür, dass Sie sich ungestört mit dem alten Menschen unterhalten können.  Sehr schwerhörigen Menschen, bei denen Sie das Gefühl haben, dass häufig Informationen nicht richtig ankommen, geben Sie zusätzlich die Informationen in schriftlicher Form. Ein kleiner Zettel mit der Uhrzeit der nächsten Gymnastikstunde ist nebenbei noch eine gute Gedächtnisstütze.

Sehstörungen

Laut Altersforscher Prof. Erich Grond sehen mehr als 66% aller alten und hochaltrigen Menschen trotz Brille schlecht! Einige altersbedingte Sehveränderungen lassen sich nicht mittels einer Brille ausgleichen.    

Kurzsichtigkeit

Fast bei allen Senioren besteht neben der Altersweitsichtigkeit parallel eine Kurzsichtigkeit. Diese beiden Phänomene heben sich nicht gegenseitig auf, wie man meinen könnte. Schriftliche Informationen sollte man Senioren also immer in großer Schrift anbieten. Dabei hat sich gezeigt, dass eine Mindestgröße von 22 Pt. sinnvoll ist. Schriften mit Serifen (wie diese Times New Roman oder die Garamond) sind meist besser lesbar als sogenannte Helvetica-Schriften (wie z.B. Arial oder Tahoma). Helvetica-Schriftarten sind moderner und daher den hochaltrigen Menschen nicht aus ihrer Jugend geläufig.  

Helligkeit

Die Netzhauthelligkeit eines 80-Jährigen beträgt nur noch ungefähr ein Viertel der Helligkeit eines 20-Jährigen. Ursache der verminderten Netzhauthelligkeit sind der geringere Pupillendurchmesser älterer Menschen sowie altersbedingte Trübungen der Augenlinse. Folglich sollten Sie als Betreuungskraft auf ausreichende Helligkeit achten, wenn Sie Gespräche mit alten Menschen führen wollen oder Gruppenaktivitäten anbieten wollen. Der Raum muss deutlich heller sein, als Sie persönlich es „normal“ empfinden würden. Ein willkommener Nebeneffekt der Helligkeit besteht darin, dass Wachheit und Aufmerksamkeit der Senioren gesteigert werden. Die Helligkeit signalisiert dem Gehirn des alten Menschen: Jetzt ist die Aktivitätsphase.     

Gesichtsfeld

Bei einem jungen Menschen erstreckt sich das Gesichtsfeld horizontal über einen Winkel von 180 – 200 Grad. Durch den Alterungsprozess verengt sich das Gesichtsfeld bis auf ca. 140 Grad beim hochbetagten Menschen (siehe Fotos unten).  Sie erleichtern es dem alten Menschen, sich mit Ihnen zu verständigen, wenn Sie ihn möglichst von vorne ansprechen und während der Unterhaltung ungefähr in der Mitte seines Sehfeldes bleiben.  Bei manchen Gruppenangeboten sitzen die Teilnehmer um einen Tisch herum. In diesem Fall sollten Sie besonders darauf achten, dass die Teilnehmer an den Rändern bzw. in den Ecken so am Tisch sitzen, dass Sie als Gruppenleiter gut wahrgenommen werden können, sich also noch im Gesichtsfeld befinden. 

Nachfolgend sehen Sie schematisch, wie das Gesichtsfeld im hohen Alter eingeschränkt ist:






 








Nahpunkt

Fast jeder über 50 Jahre alte Mensch kennt es: Beim Lesen werden „die Arme immer länger“. Der Bereich des schärftsen Sehens, der sogenannte Nahpunkt verschiebt sich von 40 cm bei einem 50-jährigen Menschen immer weiter in die Ferne. Bei 60-Jährigen liegt der Nahpunkt oft schon bei über 100 cm. Das bedeutet, dass dieser Mensch ohne Brille nichts mehr scharf sehen kann, was unter einem Meter entfernt ist. Das ist auch einer der Gründe, warum in Pflegeheimen beim gemeinsamen Essen oft Heimbewohner den eigenen Teller nicht anrühren, während sie gerne den Teller einer entfernter sitzenden Person appetitlich finden (denn diesen entfernteren Teller erkennen sie viel besser). 

Manchmal kann auch eine Brille dieses Sehproblem nicht mehr ganz ausgleichen. Daher kann es manchmal sinnvoller sein, wenn Sie ca. 1 - 2 Meter Abstand halten, wenn Sie mit einem hochbetagten Menschen sprechen. Mit dem richtigen Abstand sind Sie besser zu erkennen und ihre Mimik und Gestik entsprechend auch. Das kann ein Gespräch wesentlich vereinfachen.

Im zweiten Teil dieses Artikels wird es um die häufigsten kognitiven (also geistigen) Einschränkungen hochbetagter Menschen gehen, die Sie als Betreuungskraft berücksichtigen sollten, wenn Sie mit Senioren sinnvoll kommunizieren möchten.  VG