Mutti ins Pflegeheim? Das kann ich doch nicht machen!
Es gibt Grenzen für die Pflege zuhause
„Ich kann doch meine Mutter nicht ins Pflegeheim stecken!“ sagt die verzweifelte Tochter, die schon seit Jahren ihre Mutter zuhause pflegt. Geduldig, liebevoll und aus ehrlicher Wertschätzung für ihre Mutter hat sie damals die Pflege übernommen. Doch nun wird es immer anstrengender, denn die Demenzerkrankung der Mutter schreitet fort. Die Tochter ist nach so langer Pflegezeit ausgelaugt.
„Ich habe meinem Mann versprochen, dass er nicht in ein Pflegeheim muss“, erzählt die ältere Dame, die selbst schon über 80 Jahre alt ist. Sie kümmert sich liebevoll um ihren dementen Ehemann, ist aber selbst immer öfter krank.
Sehr häufig habe ich schon solche gut gemeinten Versprechen gehört. Die allerwenigsten Menschen möchten im Alter gerne in einem Seniorenheim leben. In den eigenen vier Wänden möchte man bleiben – bis zum Lebensende. Und deshalb möchte man es auch seinem eigenen Ehepartner oder den eigenen Eltern ermöglichen, zuhause zu bleiben. Schließlich wünscht man es sich ja später einmal auch für sich selbst so.
Dieser absolut verständliche Wunsch wird aber leider manchmal von der Wirklichkeit eingeholt. Die pflegenden Angehörigen, die einst dieses große Versprechen in bester Absicht gaben, werden selbst älter und schwächer, wenn es sich um die Ehepartner handelt. Pflegende Töchter oder Söhne haben häufig das Problem, dass sie nicht unbegrenzt lange die Pflege übernehmen können, weil sie sonst ihren Arbeitsplatz gefährden oder die Finanzen einfach nicht reichen.
Niemand kann ja beim Beginn einer Pflegebedürftigkeit wissen, wie lange und wie anstrengend die Pflege einmal werden wird. Schon aus diesem Grund sind Versprechen problematisch.
Weglaufen, starke Inkontinenz, nächtliche Unruhe und ähnliche anstrengende Verhaltensweisen nötigen oft zusätzlich den pflegenden Angehörigen alle Kraft und Geduld ab. Und dazu kommt, dass die häusliche Pflege ein 24-Stunden-Job ist – ohne Feierabend oder Jahresurlaub. Die Grenzen der nervlichen und körperlichen Belastung wurden häufig schon überschritten, wenn die Frage immer größer im Raum steht: „Geht es zuhause noch?“ und „Kann ich mein Versprechen brechen?“. Einen sehr hilfreichen Artikel zu diesem Thema hat der Buchautor und Altersexperte Udo Baer ins Netz gestellt.
Baer schreibt: „Niemand verstößt gerne gegen ein Versprechen, das er oder sie gegeben hat. Doch manchmal ist es notwendig, ein Versprechen nicht zu halten. Die Tochter hat jahrelang alles gegeben, um ihr Versprechen zu erfüllen. Dann war eine Grenze erreicht und die gibt es oft. Für die meisten Menschen besteht diese Grenze darin, dass sie selber zusammenbrechen, dass sie die Belastungen und Überlastungen der häuslichen Pflege nicht mehr aushalten und selber krank werden, körperlich oder psychisch.“
Wenn die pflegende Person derart an ihre Grenzen gelangt ist, dann kann auch die Betreuung und Pflege nicht mehr gelingen. Hinzu kommt oftmals, dass die demenziell Erkrankten sich selbst oder andere gefährden. Auch dieser Umstand erschwert es oft, das einst gegebene Versprechen zu halten.
Wenn Menschen mit Demenz beispielsweise häufig weglaufen, gefährden sie sich selbst. Manchmal sind sie bei Minusgraden unzureichend gekleidet unterwegs. Oder Sie finden sich im Straßenverkehr alleine nicht mehr zurecht und laufen vor ein Auto. Unter Umständen gefährden sie dadurch auch andere. Gefährlich wird es auch, wenn sie zum Beispiel den Herd oder die Mikrowelle anschalten und vergessen, sie wieder auszuschalten. In diesen Fällen benötigen die Betroffenen eine 24-Stunden-Beaufsichtigung, die zuhause nicht immer zu gewährleisten ist.
„Manchmal müssen Versprechen gebrochen werden, um sich nicht selbst und auch die Person, um die man sich kümmert, zu verraten. Wenn wir einem anderen Menschen ein Versprechen geben, sollten wir eine Einschränkung machen: „Ich werde mich darum bemühen, dass ich dich, solange es geht, pflegen kann.“ Worte und Versprechen, die auf „nie“ und „immer“ abzielen, sind gefährlich, denn man kann die Zukunft nicht vorhersehen. Wenn eine Person … sich selbst gefährdet oder wenn eine Pflegeperson zusammenbricht, dann muss das Versprechen gebrochen werden. Das zu wissen, kann helfen. Schwer bleibt es trotzdem, weil die demenziell erkrankten Menschen dies zumeist nicht verstehen können. Was bleibt, ist zu trauern und sich selbst Trost zu holen als Tochter, als Sohn, als Partner“, rät Udo Baer.
Sehen Sie es niemals als Versagen an, wenn Sie nach reiflicher Überlegung Ihren Angehörigen in ein Pflegeheim geben. Sie haben nach all Ihren Möglichkeiten ihr Bestes getan – oft jahrelang. Es ist klug, rechtzeitig zu erkennen, wenn es zuhause nicht länger möglich ist, Ihren Angehörigen gut zu versorgen. Besuchen Sie Ihren Angehörigen so oft wie möglich im Seniorenheim. Dann können Sie weiterhin für Ihn da sein, ohne selbst auszubrennen oder gar die eigene Gesundheit auf's Spiel zu setzen.
Autor: Volker Gehlert, Dementia Care Manager
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