Alle Sinne anregen
„Erzähl mir und ich vergesse.
Zeige mir und ich erinnere mich.
Lasse mich tun und ich verstehe.“ Konfuzius
Wenn wir mit Senioren die Tür zu wohltuenden Erinnerungen öffnen wollen, brauchen wir die richtigen Schlüssel. Worte allein verlieren mit zunehmender Demenz immer mehr ihre Bedeutung. Bilder von früher Erlebtem bleiben im Zweidimensionalen. Gegenstände, die im wahrsten Sinne „begreifbar“ sind, stellen starke Schlüssel zu den Erinnerungen dar. Vertraute Gerüche oder Geräusche sprechen mehr das Herz an und damit die vertrauten Emotionen.
Nicht nur die Demenz raubt den rationalen Zugang zu den eigenen Erinnerungen und damit zur eigenen Identität. Auch Immobilität und Bettlägerigkeit nehmen den betroffenen Menschen viele Möglichkeiten der Sinnesanregung.
Folgende Personengruppen sind davon betroffen:
► Stark altersgebrechliche Menschen
► Bewußtlose Personen (Wachkoma)
► Gelähmte Personen (Hemiplegiker, Tetraplegiker)
► fortgeschritten demente Menschen
► stark bewegungseingeschränkte Personen (MS, Locked-In-Syndrom, ALS)
► Sterbende
„Menschen, die des Aufrechtseins beraubt sind, werden gleichzeitig der Fähigkeit beraubt, Aufmerksamkeit und Anregung gestalten zu können“, schreiben Bienstein und Fröhlich, die Entwickler der Methode „Basale Stimulation“. Das Bett wird zum einzigen Lebensraum. Dieser verbliebene Lebensraum sollte so gestaltet werden, dass Bewegung stattfinden kann und Wahrnehmung gefördert wird.
Wenn Betreuungskräfte bettlägerigen Menschen Angebote machen, geht es aber um mehr als nur darum, Sinnesanregung zu geben. Es geht darum, dass jeder Mensch ein Bedürfnis nach Wahrnehmung, Bewegung und Kommunikation hat. Auch die Selbstbestimmung spielt bei besonders eingeschränkten Menschen eine um so größere Rolle. Menschen, die nicht mehr in der Lage sind, verbal auf Fragen nach ihren Wünschen zu antworten, geben uns auf andere Art Hinweise, was sie als angenehm oder unangenehm empfinden. Dazu braucht es eine andauernde, geduldige und gute Beobachtung der Mimik und Körperhaltung während der Sinnesangebote. Auch wenn aus der Biografie hervorgeht, dass der Bewohner gerne Heino gehört hat, bedeutet das nicht automatisch, dass er das heute auch gerne hören möchte. Also ist es sehr wichtig, seine Reaktion zu beobachten, wenn wir die Heino-CD laufen lassen.
Grundsätzlich sollte bei Sinnesanregungen Folgendes beachtet werden:
Gerüche / Düfte
► optische Eindrücke verblassen innerhalb kurzer Zeit - Geruchseindrücke bleiben viele Jahre lang bestehen
► Menschen mit Demenz erinnern sich daher trotzdem an Gerüche aus ihrer Kindheit
► ein Geruch ruft die Emotionen wach, die wir empfanden, als wir den Geruch zum ersten mal wahrnahmen (positive Erinnerungen wecken - Kindheit, Geborgenheit)
► eigene Düfte des Bewohners verwenden: eigene Seife, Deo, Parfüm, Körperlotion
► Vertraute Gerüche aus Lebensalltag / Beruf des Menschen verwenden (dies ist oft ein wenig Detektivarbeit)
► allerdings: in manchen Fällen ist der Geruchssinn geschädigt (z.B. bei Parkinson) – Folge: Düfte und Gerüche kommen nicht mehr an
Musik / Geräusche
► nur eindeutige, gezielte auditive Reize einsetzen (keine Dauer-Berieselung, Störgeräusche ausschalten)
► Musik ist fast immer mit Berührung und mit Bewegung kombinierbar (Takt, Rhythmus, Vibration)
► Musik: Lieblingsmusik, Entspannungsmusik (Musikbiografie und Prägungszeit des Menschen beachten)
► Geräusche: Nur Vertrautes einsetzen (Tiere, Natur, Arbeitsleben)
Taktile / haptische Reize
► eindeutige, gezielte Reize setzen
► Vertrautes anbieten: Haustier, Arbeitsmaterial aus dem früheren Beruf
► aus der Körperpflege Vertrautes: Bürste, Schwamm
► bei Demenz: Nesteldecken, Nestelkissen anbieten
► eigenen Körper erfahrbar machen (Hand des Bewohners zu seinem Gesicht oder Bauch führen, Hand führen zum Eincremen der anderen Hand etc.)
Orale Reize
► der Mund ist die intimste Zone des Körpers!
► daher immer nur Schritt für Schritt annähern
► Gefahrenpotential: Verschlucken, Atemwegsprobleme, Aspiration (PEG), Allergien etc.
► deshalb bitte nur nach gründlicher Einweisung durch Fachperson beim jeweiligen Bewohner durchführen!
Der Mensch ist ein Wesen, das auf ständige Sinneswahrnehmungen hin ausgerichtet ist.
Werden einem Menschen alle Möglichkeiten genommen, seine Sinne zu erleben, dann führt dies innerhalb kurzer Zeit zur sogenannten Reizdeprivation und zum Hospitalismus. Ein rasanter Abbau der geistigen Fähigkeiten ist die Folge. Schließlich nimmt es dem Betroffenen den Lebenswillen.
Betreuungsassistenten sollten also kreativ sein und möglichst viele Sinnesanregungen anbieten.
Volker Gehlert, Dementia Care Manager