Neue Ideen für die Seniorenbetreuung

Neue Ideen für die Betreuungsarbeit

Sundowning - was ist das?
Viele Menschen mit Alzheimer-Demenz sind betroffen

Die Alzheimer-Erkrankung wirkt sich vielfältig auf die Betroffenen aus. Manchmal entwickelt sich eine Tag-Nacht-Umkehr, manchmal Schlafstörungen. Der Begriff „Sundowning“ beschreibt ein ähnliches Phänomen. Es liegen Schätzungen vor, nach denen bis zu 25% der Menschen mit Alzheimer-Demenz im Laufe des Fortschreitens der Demenz davon betroffen sind.
Sundowning bedeutet, dass Menschen mit Demenz am späten Nachmittag oder frühen Abend unruhiger werden, überaktiv und nervös wirken. Bei einigen kommen ungewöhnliche Verhaltensmuster hinzu und häufig auch stärkere Verwirrtheit als vormittags. Auch gesteigerte Ängstlichkeit oder Reizbarkeit können beim Sundowning vorkommen.
Mögliche Ursachen
Über die Ursachen des Phänomens bestehen bisher nur Vermutungen. Menschen mit Demenz erleben sehr schnell eine Reizüberflutung. Gerade in einem Aufenthaltsraum eines Pflegeheims sind sie ständig Geräuschen, Stimmen, Menschen und optischen Eindrücken ausgesetzt. Dies führt oft zu einer Überforderung des Gehirns.
Eine neue Studie des Paris Brain Institute legt nahe, dass sich in einem Gehirn, dass sehr gefordert wird, der Botenstoff Glutamat zu stark anreichert und dann zu Fehlleistungen und zu Erregung führt (siehe unten). Ein hoher Glutamatspiegel stört die Gefühlsregulation und die Selbstkontrolle. Hirnforscher Mathias Pessiglione empfiehlt Ruhe und Schlaf, um die geistige Leistungsfähigkeit zu erneuern. »Es gibt überzeugende Belege, wonach das angesammelte Glutamat während des Schlafs wieder abgebaut wird.« *
Allerdings können neben dem Glutamat wohl etliche andere Ursachen ebenso am Sundowning beteiligt sein. Bei einzelnen Betroffenen kann sogar eine Unterforderung, also eine Suche nach Beschäftigung oder nach menschlicher Gesellschaft, der Grund für abendliche Unruhe sein. Gute Biografiearbeit legt hier die Basis für ein Verstehen des alten Menschen.
Unterscheiden sollte man das Sundowning von Wahnvorstellungen. Wenn der alte Mensch also z.B. äußert, er sehe Personen, die ihn verfolgen, obwohl da niemand ist, dann sollten Sie das unbedingt einem Arzt mitteilen.
Gutes Beobachten und genaues Dokumentieren
Grundsätzlich ist es wichtig, gut zu beobachten und zu dokumentieren, um so vielleicht bestimmte Ursachen zu erkennen. Ein Beispiel aus der Praxis: Ein schwer dementer Heimbewohner erhielt täglich Besuch von seiner Ehefrau. Nur an einem Tag der Woche kam die Ehefrau nicht, um Zeit für sich selbst zu haben. Immer am Nachmittag dieses Wochentages wurde der ältere Herr sehr unruhig und rief macnhmal auch laut.
Hier erhalten Sie ein paar Tipps für den Umgang mit Sundowning:
1. Bieten Sie eine kurze Ruhezeit nach dem Mittagessen an (maximal 45 Minuten). Viele alte Menschen lehnen es ab, sich tagsüber ins Bett zu legen. In diesem Fall können Sie für die Ruhezeit einen Sessel oder ein Sofa anbieten. Beobachten Sie mindestens eine Woche lang, ob die Mittagsruhe sich am Abend positiv auswirkt und dokumentieren sie das Ergebnis.
2. Grundsätzlich hilft ein geregelter Tagesablauf mit festen Essens-, Wach- und Schlafenszeiten. Dies gibt mehr Stabilität und Sicherheit und hilft, Unruhe zu vermeiden.
3. Sorgen Sie für eine optimale Beleuchtung schon bevor die Dämmerung einsetzt. Menschen benötigen im hohen Alter eine rund viermal hellere Beleuchtung als junge Menschen, um den gleichen Helligkeitseindruck zu haben. Dimmen Sie die Helligkeit erst am Abend und auch nur so weit, dass keine Sturzgefahr entsteht.
4. Setzen Sie für den Betroffenen keine aufregenden, anstrengenden Aktivitäten oder Ausflüge am späten Nachmittag an, sondern verlegen Sie diese auf den Vormittag oder frühen Nachmittag. Bieten Sie aber gesellige, gemütliche Aktivitäten wie Erzählrunden oder Dia-Vortrag am Nachmittag und Abend an. Übrigens: Wenn ein Mensch mit Demenz nicht schon um 20 Uhr ins Bett gehen will, ist das völlig normal. Überlegen Sie einmal, wann Sie selbst schlafen gehen.
5. Wenn Sie das Gefühl haben, dass der Betroffene sich tagsüber zu wenig bewegt, ermöglichen Sie ihm Spaziergänge.
6. Versuchen Sie selbst ruhig zu bleiben, wenn der Betroffene nervöser und verwirrter wird. Sprechen Sie beruhigend mit ihm und versuchen Sie herauszufinden, was er brauchen könnte. Achten Sie auf seine Mimik, Gestik und den Tonfall. Denken Sie auch an die psychischen Bedürfnisse wie Trost und Nähe.
7. Nehmen Sie den Betroffenen aus einer lauten unruhigen Umgebung heraus. Manchmal reicht das schon aus, um eine Entspannung zu erreichen.
8. Bei körperlicher Unruhe und Laufdrang gehen Sie mit, begleiten Sie den Betroffenen, aber versuchen Sie nicht, den Erkrankten festzuhalten. Das würde seine Aufregung oder seine Aggressivität nur fördern.
9. Sie sollten den Musikgeschmack der betroffenen Person kennen und aus seiner Musikrichtung ein paar ruhigere Musikstücke abspielen lassen. Dokumentieren Sie auch hier wieder, ob dieser Versuch sich positiv ausgewirkt hat.
10. Wenn Sie trotz aller genannten Tipps keinen Ausweg finden, sprechen Sie mit dem Arzt, ob eine medikamentöse Therapie in Betracht kommt. Zu bedenken ist aber, dass beruhigende Medikamente, die am Nachmittag gegeben werden, dazu führen können, dass der Betroffene dann mitten in der Nacht unruhig wird. Medikamente sollten immer das letzte Mittel sein.
Zusammenfassend zeigt sich auch bei diesem Thema wieder, dass ein gutes Kennen der Biografie jedes Einzelnen wichtig ist und dass Beobachtung und Dokumentieren unerlässlich sind. Fallbesprechungen über einzelne auffällige Personen können ebenso hilfreich sein.
Volker Gehlert, Dementia Care Manager


* Quelle: https://www.spektrum.de/news/nachdenken-hat-seinen-preis/2047344